Brustkrebs bei Männern – selten, aber möglich
Brustkrebs bei Männern ist eine Seltenheit. Dafür sitzt der Schock umso tiefer, weil kaum ein Mann mit der Frauenkrankheit Brustkrebs rechnet. Ein neues Forschungsprojekt kümmert sich gezielt um die Männer.
Rund 600 Männer pro Jahr erhalten eine Diagnose, mit der kaum einer rechnet: Brustkrebs. Das Mammakarzinom gilt als typische Frauenkrankheit, die rund 75.000 Frauen jährlich neu trifft. Im Vergleich dazu sind Männer mit Brustkrebs rare Exemplare. Für die Männer entsteht eine paradoxe Situation: Einerseits hat sie eine Volkskrankheit mit vielen Betroffenen erwischt. Andererseits gilt die Krankheit bei ihnen als sehr selten, da sie zu mehr als 99 Prozent Frauen betrifft.
Wer behandelt Brustkrebs bei Männern?
Doch wie gehen Männer mit dieser Diagnose Brustkrebs um? Welche Ärzte sind überhaupt zuständig – Gynäkologen, Männerärzte oder Onkologen? Wie schwierig die Diagnose Brustkrebs für einen Mann sein kann, davon erzählt ein Betroffener: „Ich musste mich dran gewöhnen, dass ich jetzt laufend mit Frauenärzten zu tun habe. Später bekam ich ein Einzelzimmer auf einer gynäkologischen Station.“ Ein anderer Brustkrebspatient schreibt: „Ich machte mich zum Frauenarzt meiner Frau auf. Die dortige Sprechstundenhilfe lachte mich zunächst aus und sagte: ‚Sie wollen ja wohl kaum einen Termin bei uns haben‘“. Später entschuldigte sie sich, Männer habe sie bis dato noch nicht in ihrer Praxis gehabt.
Frauenärzte fürchten oft, die Behandlung von Männern mit Brustkrebs nicht abrechnen zu können. Peter Jurmeister, Vorstandsvorsitzender des Netzwerks Männer mit Brustkrebs, sagte im Interview mit der Deutschen Krebsgesellschaft: „Während der sechs Jahre unserer Tätigkeit meldeten sich zehn bis zwölf Männer bei uns, die von niedergelassenen Gynäkologen abgewiesen wurden, weil diese befürchteten, sie könnten die Behandlung nicht mit der Kasse abrechnen.“ Erst eine Petition an den Landtag in Baden-Württemberg aktivierte die entsprechende kassenärztliche Vereinigung. Die Gynäkologen wurden in einem Rundschreiben über die Abrechnungsmöglichkeiten der Behandlung von Männern informiert. „Da besteht offensichtlich noch eine Menge Aufklärungsbedarf“, findet Jurmeister.
Nach einem Urteil des Landessozialgerichtes Rheinland-Pfalz (15.5.2003, AZ: L5 KA 18/02 LSG RPF) gilt die Behandlung von Männern durch Gynäkologen als fachfremd. Der Frauenarzt solle sich in seiner kassenärztlichen Tätigkeit auf sein Fachgebiet beschränken – und das sind nun mal Frauen. Die kassenärztlichen Vorschriften erlauben den Gynäkologen aber in begrenztem Umfang andere ärztliche Tätigkeiten. Die Grenze liegt – je nach kassenärztlicher Vereinigung – zwischen zwei (Berlin) und fünf Prozent. In Berlin wurde den Gynäkologen im Jahr 2006 auch die Behandlung von Männern mit Brustkrebs erlaubt. In der Regel reicht diese Spanne für die Behandlung von Männern mit Brustkrebs aus.
Brustkrebs – verunsicherte Männer, ratlose Ärzte
Wenn Männer die Diagnose Brustkrebs bekommen sei der Schock noch größer als für Frauen, weil männliche Betroffene mit allem Möglichen rechnen – nur nicht mit einer Frauenkrankheit. Sie gehen oft viel zu spät zum Arzt, weshalb der Brustkrebs bei vielen Männern oft schon weit fortgeschritten ist, wenn sie die Diagnose Brustkrebs erhalten. Auch die Überlebensraten liegen niedriger als bei den Frauen: 65 Prozent der Männer überleben die nächsten zehn Jahre nach der Diagnose; bei den Frauen sind es 82 Prozent.
Außerdem werden die Männer gesellschaftlich stigmatisiert. Eine gestörte Sexualität und Körperwahrnehmung könnten weitere Probleme von Männern mit Brustkrebs sein. Ganz zu schweigen davon, dass eine Krebsdiagnose arm machen kann, weil ein kraftraubender Vollzeitjob während der Krebstherapien kaum zu stemmen ist. Und Männer sind oft noch immer die Ernährer der Familie.
Verunsichert sind nicht nur die Männer selbst, sondern meist auch die Ärzte. Sie haben viel seltener mit männlichen Patienten zu tun, weshalb ihnen die Routine im Umgang fehlt. Doch wie können Ärzte und Pflegekräfte den Brustkrebspatienten besser helfen? Dies soll ein neues Forschungsprojekt des Universitätsklinikums Bonn (UKB) klären. „Es gibt bislang kaum Behandlungskonzepte, die auf Männer mit Brustkrebs zugeschnitten sind“, sagt Prof. Nicole Ernstmann vom UKB. „Aus früheren Erhebungen wissen wir, dass sich die psychosoziale und medizinische Situation von männlichen Brustkrebspatienten deutlich von der von Frauen unterscheidet.“ Ziel ist es, die Behandlungsverfahren auf die Männer zuzuschneiden und zu verbessern. Denn derzeit werden Männer mit Brustkrebs mit den gleichen Krebstherapien behandelt wie Frauen: Operation (meist wird die gesamte Brust entfernt), Chemotherapie, Bestrahlung und Antihormontherapie wie Tamoxifen, weil der Brustkrebs bei Männer auch oft unter Hormoneinfluss wächst.
Brustkrebs bei Männern – Erfahrungen von allen gefragt
In dem Forschungsprojekt „N-MALE“ nehmen Forscher die medizinischen und psychosozialen Bedürfnisse von männlichen Brustkrebspatienten unter die Lupe. „N“ steht für das englische „Needs“ (Bedürfnisse) und „MALE“ für männlich. Männer mit Brustkrebs, Ärzte und Pflegekräfte sollen von ihren Erfahrungen mit der Erkrankung erzählen. Bislang sind nämlich die Erkenntnisse zu den männlichen Bedürfnissen und die Datenlage äußerst dürftig.
Ziel ist es, aus den Erfahrungsberichten neue Behandlungsempfehlungen abzuleiten, welche die Versorgung der männlichen Patienten verbessern. „Dabei ist uns besonders wichtig, die Betroffenen von Anfang an in das Forschungsprojekt mit einzubinden“, betont Ernstmann. Das Forscherteam arbeitet deshalb mit dem Netzwerk Männer mit Brustkrebs e.V. zusammen.
Männer mit Brustkrebs gesucht!
Für das Forschungsprojekt werden Männer mit Brustkrebs gesucht. Sie können sich ab dem 1. Juni 2016 unter folgender E-Mail-Adresse melden: sarah.halbach@ukb.uni-bonn.de.
Weitere Informationen zu Brustkrebs beim Mann unter: www.brustkrebs-beim-mann.de
Ingrid Müller
Ingrid Müller hat Biologie und Chemie studiert, ist gelernte Journalistin, Buchautorin und schreibt für verschiedene Medien, unter anderem Focus Gesundheit. Sie ist Chefredakteurin des Gesundheitsportals Prostata Hilfe Deutschland, die sich an Männer mit Prostatakrebs richtet. Zudem entwickelt sie digitale Gesundheitsprojekte mit. Zwölf Jahre war sie Chefredakteurin des Gesundheitsportals netdoktor.de