Krebs – Medikamente aus dem Meer

Der Ozean mit seiner fantastischen Tierwelt ist ein Eldorado für Forscher. Könnte das Meer eine Apotheke für neue Krebsmedikamente sein? Die Hoffnung für Krebspatienten kommt von einigen Meeresbewohnern.

Meeresschwämme, Algen, Korallen, Schnecken – im Meer tummeln sich jede Menge oft wundersame Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen und Pilze, die sich erstaunlich gut an die oft rauen Bedingungen angepasst haben. Darunter sind auch Organismen, die man noch gar nicht kennt, von deren Erforschung sich Wissenschaftler aber viel versprechen – vor allem im Kampf gegen Krebs.

Als José Maria Fernández Sousa-Faro, der Gründer des Unternehmens PharmaMar, vor fast drei Jahrzehnten verkündete, im Meer Medikamente gegen Krebs finden zu wollen, hielten ihn viele für einen Spinner. Heute fahnden viele Wissenschaftler in den Ozeanen nach Wirkstoffen gegen Krebs, auch jene von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie nahmen sich vor allem Pilze vor, die im Meer leben. Erste Ergebnisse sind vielversprechend: Bei einem Pilz aus dem Meer identifizierten sie Gene, die für die Produktion zweier krebshemmender Stoffe verantwortlich sind, sogenannter zyklischer Peptide.

Krebs – Pilz stellt Medikament gegen Tumoren her

Das Forscherteam um Prof. Frank Kempken und das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel untersuchte den Pilz vom Stamm Scopulariopsis brevicaulis im Labor genauer. Isoliert wurde der Pilz aus dem Schwamm Tethya aurantium, der im Mittelmeer lebt. Der Schwamm scheint dabei in seinem Innern eine Umgebung zu bieten, die den Pilz im rauhen Meer überleben lässt.

Frühere Forschungsarbeiten hatten gezeigt, dass der Pilz die zyklischen Peptide Scopularides A und B bilden kann. Und diese hemmen das Wachstum von Bauchspeicheldrüsen- und Darmkrebszellen. Schon länger gelten zyklische Peptide gelten als effektive medizinische Wirkstoffe, die Ärzte auch schon bei Menschen als Therapie bei verschiedenen Krankheiten anwenden. So zählen bestimmte Antibiotika, zum Beispiel Penicilline, zu dieser Gruppe. Sowohl Bakterien als auch Pilze können diese Eiweiße herstellen.

Vom Pilz zum Krebsmedikament

Unbekannt war aber bislang, welche Gene des Pilzes für die Bildung der krebshemmenden Wirkstoffe verantwortlich sind. Mittels Analyse des Erbguts gelang es den Forschern jetzt, unter den rund 16.000 in Frage kommenden Genen des Pilzes die Gene NRPS 1 und PKS 2 zu identifizieren – dieses Genpaar sorgt für die Produktion der zyklischen Eiweiße Scopularides A und B.

Damit können die Forscher die Wirkstoffe gegen Krebs jetzt im Labor künstlich „nachbauen.“ Zudem lassen sie sich chemisch so verändern, dass sie noch wirksamer sind. „Pilze sind je nach äußeren Bedingungen in der Lage eine große Bandbreite verschiedener Stoffe zu produzieren“, sagt Frank Kempken. Die Identifizierung der Gene, die für die Herstellung der potenziell gegen Krebs wirksamen Peptide zuständig sind, sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Krebsmedikament.

Wehrhafte Meeresbewohner – Vielzahl an chemischen Waffen

Früher suchten Forscher vor allem in Pflanzen nach neuen Krebsmedikamenten. Wo sie auch fündig wurden. Beispiele sind die Mistel oder Curcuma, denen krebshemmende Wirkungen zugeschrieben werden. Das Krebsmedikament Taxol – es wird bei Chemotherapien eingesetzt – ist heute beinahe ein Kassenschlager. Es stammt aus der Pazifischen Eibe. Das Meer blieb als Forschungsfeld aber lange Zeit weitgehend unbeachtet. Dabei schätzen Experten, dass in den Ozeanen etwa 10.000 Algenarten, mehr als 200.000 Tierarten sowie eine unbekannte Anzahl von Bakterien und Pilzen leben. Und viele davon besitzen eine beachtliche Anzahl und Vielfalt an chemischen Waffen –  die brauchen sie, wenn sie sich nicht vor Feinden aus dem Staub machen und sich an Ort und Stelle wehren müssen. Und auf diese toxischen Substanzen haben es die Forscher abgesehen.

Krebs – so viel Potenzial steckt im Meer

Forscher identifizierten mittlerweile eine Reihe von Stoffen, die gegen Krebs wirksam sind. Ecteinascidin (ET-743) zum Beispiel ist eine Substanz, welche die Seescheide Ecteinascidia turbinata herstellt. Im Jahr 2008 wurde es als Medikament zugelassen. Ecteinascidin ist ein Alkaloid, das einen komplexen Stoffwechselmechanismus unterbricht, mit dem Krebszellen häufig Resistenzen gegen Arzneimittel entwickeln. Eingesetzt wird der Wirkstoff bei den seltenen Weichteilsarkomen, bei denen gängige Zytostatika einer Chemotherapie nur wenig Erfolg versprechen.

Der Wirkstoff Eribulin kommt auch aus dem Meer. Die Substanz stoppt die Zellteilung mitten in ihrem Ablauf. Das Krebsmedikament ist seit März 2011 zur Behandlung des fortgeschrittenen Brustkrebses in bestimmten Therapiesituationen zugelassen. Eribulin basiert auf dem Naturstoff Halichondrin B, den Meeresschwämme produzieren.

Cytarabin (Ara-C) wird gegen akute Leukämie bei Kindern und Erwachsenen eingesetzt. Die Ausgangssubstanz stammt aus dem Schwamm Cryptothecia crypta. Es war das erste Medikament aus dem Meer, das die US-amerikanische Nahrungs- und Arzneimittelbehörde (Food and Drug Administration, FDA) im Jahr 1969 zugelassen hat.

Krebsmittel aus dem Ozean – daran wird geforscht

Weitere Wirkstoffe aus dem Meer, die potenziell gegen Krebs wirken, untersuchen Forscher derzeit in Studien. Beispiele sind das aus dem Moostierchen Bugula neritina gewonnene Bryostatin, das aus dem Dornhai Squalus acanthias isolierte Squalamin-Lactat und das Sorbicillacton, das aus Bakterien stammt, die in Gemeinschaft mit Schwämmen leben.

Aber auch russische Seegurken (Cucumaria frondosa) könnten im Kampf gegen Krebs helfen. Die optisch nicht gerade ansehnlichen Tiere produzieren die Substanz Frondoside A, deren Wirksamkeit gegen Krebszellen derzeit Hamburger Forscher untersuchen. Getestet wird die die Wirksamkeit gegen Hodenkrebs – dem häufigsten Krebs bei  Männern in mittleren Alter.

Ein aussichtsreiches Medikament mit dem Wirkstoff Plitidepsin stammt ebenfalls aus dem Meer, genauer gesagt aus dem Manteltier Aplidium albicans. Es soll gegen das Multiple Myelom und eine Form des T-Zellenlymphoms wirksam sein. Das Medikament befindet sich derzeit in der Prüfung. Aus den Tiefen des Meeres könnte also in Zukunft eine Reihe mariner Krebsmedikamente kommen. Hoffentlich.

Quellen:

  • Kempken F et. al. (2015): De Novo Assembly and Genome Analyses of the Marine-Derived Scopulariopsis brevicaulis Strain LF580 Unravels Life-Style Traits and Anticancerous Scopularide Biosynthetic Gene Cluster, PLOS ONE, http://dx.doi.org/10.1371/journal.pone.0140398
  • world ocean review, http://worldoceanreview.com
  • vfa. Verband forschender Pharma-Unternehmen, http://www.vfa.de

Ingrid Müller

Ingrid Müller hat Biologie und Chemie studiert, ist gelernte Journalistin, Buchautorin und schreibt für verschiedene Medien, unter anderem Focus Gesundheit. Sie ist Chefredakteurin des Gesundheitsportals Prostata Hilfe Deutschland, die sich an Männer mit Prostatakrebs richtet. Zudem entwickelt sie digitale Gesundheitsprojekte mit. Zwölf Jahre war sie Chefredakteurin des Gesundheitsportals netdoktor.de