Chemobrain: Risiko erkennen dank Biomarker

Ein Chemobrain erwischt viele Krebspatienten. Nach einer Chemotherapie leiden oft die Konzentration, das Gedächtnis und die Erinnerung. Lassen sich Risikokandidaten bald anhand von Biomarkern erkennen?

Bei einem Chemobrain will der Kopf von Krebspatienten oft nicht mehr so, wie er eigentlich soll: Störungen des Denkens, der Konzentration, Aufmerksamkeit und Gedächtnislücken  – davon können die meisten Krebspatienten ein Lied singen. Sie wissen nicht mehr, was sie gerade tun wollten, oder haben partout vergessen, wo sie ihren Wohnungsschlüssel gerade hingelegt haben.

Bis zu 80 Prozent aller Krebspatienten berichten von solchen subjektiv empfunden Malaisen ihres Gehirns nach einer Chemotherapie. Etwa 35 Prozent erleben solche geistigen Aussetzer sogar noch Monate oder Jahre nach dem Ende der Krebsbehandlungen. Objektiv messen lassen sich die Störungen oft nicht. Die kognitiven Beeinträchtigungen können den Alltag von Krebspatienten empfindlich stören, die Lebensqualität mindern und die Rückkehr in den Beruf erschweren.

Risiko für Chemobrain im Blut ablesen

Forscher der  National University of Singapore (NUS) testeten jetzt in einer neuen Studie, ob sich das Risiko für das Chemobrain anhand zweier Biomarker im Blut ablesen lässt. Sie sollen Rückschlüsse darauf zulassen, welcher Krebspatient besonders Gefahr läuft, kognitive Einbußen zu erleben. „Wir könnten diese Patienten zukünftig anhand eines Standardtests auf diese beiden Biomarker frühzeitig identifizieren, und dann geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen“, schreiben die Studienautoren um Prof. Alexandre Chan. Eine Möglichkeit bei Chemobrain könnte ein kognitives Training sein. „Langfristig würde das die Lebensqualität von Krebspatienten deutlich verbessern“, so Chan weiter.

Gehirn-Tests vor der Chemotherapie

An der Studie nahmen 81 Frauen teil, die an Brustkrebs im Frühstadium erkrankt und im Schnitt 49 Jahre alt waren. Sie hatten sich noch keiner Chemotherapie oder Bestrahlung unterzogen. Alle sollten später eine Chemotherapie mit Anthracyclinen oder Taxanen zur Heilung ihres Brustkrebses erhalten.

Chemobrain-Test: Wie gut funktioniert das Oberstübchen noch? (c) sbtlneet/Pixabay.com

Um das Ausmaß des Chemobrains einzuschätzen, unterzogen sich die Frauen vor, während und nach der Chemotherapie verschiedenen kognitiven Tests. Sie sollten anhand eines Fragenbogens selbst angeben, wie stark sich ihr Kopf subjektiv beeinträchtigt fühlte. Außerdem sollten sie Angaben zu Fatigue, Angstsymptomen und ihrer Lebensqualität machen.

Zudem führten die Ärzte objektive Tests der kognitiven Funktionen durch. Sie überprüften unter anderem die geistige Denkschärfe, Konzentrationsfähigkeit, das Gedächtnis, den Sprachfluss oder die Fähigkeit zum Multitasking, also der zeitgleichen Bewältigung mehrerer Aufgaben. Am Computer führten sie zusätzlich neuropsychologische Tests durch. Sie erfassten bei jeder Frau die Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gehirns, Reaktionszeit, Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit. Das Ergebnis der umfangreichen Tests war, dass knapp 28 Prozent der Frauen unter deutlichen kognitiven Beeinträchtigungen litten.  

Risiko für Chemobrain erkennen dank DHEA(S)?

Dann bestimmten die Forscher vor der Chemotherapie die Konzentration des Steroidhormons Dehydryepiandrosteron im Blutplasma, besser bekannt unter der Abkürzung DHEA. Der zweite Biomarker, den die Forscher im Blick hatten, war DHEAS – dabei hat das DHEA eine Sulfatgruppe als chemisches Anhängsel. Beide Neurosteroide stehen eventuell mit dem Chemobrain in Verbindung.

Was ist DHEA?
Das Hormon DHEA gilt als regelrechter „Jungbrunnen“ und Ärzte sagen ihm vielfältige positive Wirkungen auf den Körper von Frauen und Männern nach. Zudem ist DHEA ein wichtiger Mitspieler bei der Gehirnentwicklung.

Frauen, die vor der Chemotherapie höhere Spiegel des Hormons DHEAS im Blutplasma aufwiesen, hatten ein geringeres Risiko für das Chemobrain. Das galt vor allem für die geistige Denkschärfe und den Sprachfluss. Dagegen hatte die Konzentration an DHEA offenbar keinen Einfluss auf die kognitiven Funktionen. „Wenn wir Faktoren identifizieren, die anfällig für das Chemobrain machen, können wir Risikopatienten vielleicht bald maßgeschneiderte Behandlungen anbieten“, hofft Alexandre Chan.

Jetzt wollen die Forscher die Wirkung von DHEA(S) auf bestimmte kognitive Bereiche weiter untersuchen und die Ergebnisse in weiteren Studien bestätigen. Zudem wollen sie neue Behandlungsmöglichkeiten für das Chemobrain und andere Folgen der Krebsbehandlungen entwickeln. Ziel ist es, die Lebensqualität der ehemaligen Krebspatienten zu verbessern und ihnen ein Stück Normalität zurückzugeben.

Ursachen für Chemobrain noch unklar

Die Ursachen für das Chemobrain sind noch immer nicht ganz aufgeklärt. Neue Studien deuten jedoch darauf hin, dass die kognitiven Störungen gar nicht die Folge der Chemotherapie sind. Vielmehr soll posttraumatischer Stress die entscheidende Rolle spielen. Denn die Krebsdiagnose selbst kann bei Krebspatienten ein echtes Trauma verursachen. Zu diesem Schluss kam eine Studie von Dr. Kerstin Hermelink vom Brustzentrum der LMU München. Sowohl Brustkrebspatienten mit als auch ohne Chemotherapie zeigten ein Jahr nach der Diagnose leichte kognitive Auffälligkeiten. „Es ist gut nachgewiesen, dass posttraumatischer Stress – nicht zu verwechseln mit normalem Alltagsstress – tief in die Arbeitsweise des Gehirns eingreift“, erklärt Studienleiterin Hermelink.

Damit seien vermutlich eher psychologische Faktoren als für das Gehirn giftige Behandlungen am Chemobrain schuld. „Unser Gehirn ist keine Maschine, die immer gleich funktioniert, sondern es verändert seine Funktionsweise und auch seine Struktur ständig in Abhängigkeit von dem, was wir tun und erleben“, sagt Hermelink. „Es wäre sonderbar, wenn all das, was eine Krebserkrankung an Folgen für die Psyche und an Eingriffen in das Leben mit sich bringt, spurlos am Gehirn und den kognitiven Funktionen vorübergehen würde.“ Dauerhafte Einbußen bei den kognitiven Funktionen seien daher nicht zu befürchten.

Quellen:

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Ingrid Müller

Ingrid Müller hat Biologie und Chemie studiert, ist gelernte Journalistin, Buchautorin und schreibt für verschiedene Medien, unter anderem Focus Gesundheit. Sie ist Chefredakteurin des Gesundheitsportals Prostata Hilfe Deutschland, die sich an Männer mit Prostatakrebs richtet. Zudem entwickelt sie digitale Gesundheitsprojekte mit. Zwölf Jahre war sie Chefredakteurin des Gesundheitsportals netdoktor.de