Brustkrebs-Behandlung mit Koralle aus dem Meer

Eine Korallenart aus 30 Metern Meerestiefe soll Frauen mit Brustkrebs helfen. Der Naturstoff Pseudopterosin aus dem Meeresgetier stört die Kommunikation von Krebszellen und stoppt ihre Ausbreitung – bislang aber nur im Labor.

Bizarre Fische, Schwämme, Algen oder Korallen: So mancher skurrile Meeresbewohner könnte ein wirksames Medikament für den Kampf gegen Krebs beherbergen. Nach neuen Arzneien aus dem Meer fahnden Forscher seit längerem, auch Julia Sperlich von der Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften der TH Köln in ihrer Doktorarbeit. Und davon könnten in Zukunft Brustkrebspatientinnen profitieren, die eine besonders aggressive und gefährliche Krebsform haben: den triple-negativen Brustkrebs. Bei dieser Brustkrebsart besitzen die Krebszellen keinerlei Andockstellen für die Hormone Östrogen und Progesteron sowie den Wachstumsfaktor HER2. Eine gezielte Krebsbehandlung, die diese Rezeptoren blockiert, wirkt bei ihnen nicht. Damit entfallen bewährte Medikamente wie Tamoxifen, Aromatasehemmer oder der Antikörper Trastuzumab (Herceptin®) als Therapieoptionen. Die Heilungschancen für Frauen mit einem dreifach-negativen Brustkrebs sind damit geringer als bei anderen Brustkrebspatientinnen. Doch das könnte sich ändern: Ein Wirkstoff aus einer Weichkoralle hat sich nämlich als effektiv bei dieser Brustkrebsform erwiesen.

Krebswachstum: Naturstoff blockiert die Kommunikation von Zellen

Die Forscherin testete den Naturstoff jetzt erstmals erfolgreich an aggressiven, metastasierenden Brustkrebszellen – allerdings nur im Labor. Der Hintergrund ihrer Überlegungen war, dass Krebstumore zu weniger als 50 Prozent aus Krebszellen bestehen. Vor allem Immunzellen, die sich im Umfeld der bösartigen Tumorzellen tummeln, scheinen das Krebswachstum des Tumors erheblich zu beeinflussen. Sperlich erklärt: „Die Immunzellen haben zwei Seiten: Im Idealfall unterdrücken sie das Tumorwachstum. Unter bestimmten Umständen können sie den Krebs aber auch zu mehr Wachstum anregen.“ Krebszellen kommunizieren mit den Immunzellen über bestimmte Entzündungsbotenstoffe, die sogenannten Zytokine. Diese zelluläre Verständigung kann das Wachstum des Brustkrebses und seine Fähigkeit, Absiedelungen in anderen Organen zu bilden, begünstigen. Brustkrebs bildet solche Metastasen vor allem in der Leber, Lunge, den Knochen und im Gehirn.

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Sperlich testete in ihren Laborversuchen den Naturstoff Pseudopterosin aus der Weichkoralle Antillogorgia elisabethae – die Federgorgonie – die in der Karibik vorkommt. Normalerweise schützt diese Substanz die Koralle vor Fressfeinden. Außerdem besitzt sie entzündungshemmende Wirkung und steckt deshalb in vielen Hautcremes. Die Wissenschaftlerin untersuchte jetzt, ob diese Substanz die Kommunikation der Zellen untereinander blockiert und den Tumor so daran hindert, in andere Organe zu streuen. Tatsächlich stoppte Pseudopterosin die Aktivität der Entzündungsbotenstoffe und sorgte dafür, dass die Tumorzellen sich nicht mehr mit den benachbarten Immunzellen „unterhalten“ konnten. Die Untersuchungen hätten erstmals den Mechanismus aufgedeckt, warum Pseudopterosin antientzündlich wirkt, sagt Prof. Nicole Teusch, Leiterin des Forschungsprojekts „Neue Wirkstoffe aus dem Meer“ am Campus Leverkusen der TH Köln.

Krebsstoff aus dem Meer: Korallen ernten in 30 Metern Tiefe

Zwar kennen die Forscher jetzt den Angriffspunkt des Naturstoffs in der Körperzelle. „Der Naturstoff ist allerdings noch weit davon entfernt, ein marktreifes Präparat zu sein“, erklärt Teusch. Es seien noch langjährige Forschungen nötig. Die Gewinnung des Naturstoffs ist derzeit noch sehr aufwendig und auch nicht unbedenklich für das Ökosystem. Bislang ernten Forscher die Korallen aus fast 30 Metern Meerestiefe. Deshalb planen sie, Pseudopterosin in einer chemisch vereinfachten Variante im Labor nachzubauen und gleichzeitig seine Wirksamkeit zu erhöhen. Daneben seien Kooperationen mit Kliniken geplant, um pharmakologische Charakterisierungen mit Gewebeproben von Patienten auf den Weg zu bringen. Die Forscher suchen derzeit noch Partner für die Zusammenarbeit.

Quelle:

  • Sperlich J et al.: The Marine Natural Product Pseudopterosin Blocks Cytokine Release of Tri-ple-Negative Breast Cancer and Monocytic Leukemia Cells by Inhibiting NF-?B Signaling, Marine Drugs 2017, 15(9), 262-278

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Ingrid Müller

Ingrid Müller hat Biologie und Chemie studiert, ist gelernte Journalistin, Buchautorin und schreibt für verschiedene Medien, unter anderem Focus Gesundheit. Sie ist Chefredakteurin des Gesundheitsportals Prostata Hilfe Deutschland, die sich an Männer mit Prostatakrebs richtet. Zudem entwickelt sie digitale Gesundheitsprojekte mit. Zwölf Jahre war sie Chefredakteurin des Gesundheitsportals netdoktor.de